Hand hoch, wer alt genug ist, die 1990er bewusst erlebt zu haben? Damals gab es bereits einen kleinen VR-Hype, der aber nicht lange anhielt. Ein Produkt der Zeit: Arcade-VR von Virtuality.
In Berlin gibt es einen Ort, den ihr besucht haben solltet, wenn ihr die Stadt erkundet und euch für Videogames interessiert: Das Computerspielemuseum in der Karl-Marx-Allee 93A. Dort findet ihr liebevoll präsentiert über 300 Exponate rund ums Gaming – und es sind einige Raritäten und Highlights mit dabei.

Ihr findet dort eine Arcade-Halle im Stile der 1980er, vollgestopft mit klassischen Automaten mit den größten Klassikern der Videospielgeschichte. Besonders eindrücklich fand ich aber die historisch wertvoll nachgestalteten Kinder/Jugendzimmer der 1970er, 80er und 90er Jahre. Jeder, der in diesen Jahrzehnten gelebt hat, wird viele Details bewundern und so einiges wiedererkennen.
Bringt ihr euren Nachwuchs mit, ist das fürs Kind oft ein Kulturschock aber kein schlimmer: Mein Sohn spielte begeistert mit den Exponaten und war fasziniert von all dem antiken Zeug, bei dem ich glänzende Augen bekam – how to feel old in 0,1 seconds.
Eine VR-Arcade in einem Museum in Berlin
Zu den Exponaten gehörte lange auch ein VR-Arcade-Hardware in Form der Virtuality SU2000, technisches später mehr. Vor einigen Jahren wurde das Gerät mit ein wenig Glück oder guten Kontakten zumindest noch auf direkten Wunsch herausgeholt und vorgeführt, mein letzter Stand war allerdings: Nur noch zum Anschauen, no touchy.
Da ich vor einigen Jahren bei einer Veranstaltung des Computerspielemuseums einen Vortrag über eines der wohl epischsten Liverollenspiele der Wel.. meines Lebens.. halten durfte, hatte ich dort die Gelegenheit den damaligen Kurator des Museums, Andreas Lange, kennenzulernen.

Das führte dazu, dass ich die Chance hatte, lange genug zu nerven, um die Virtuality SU2000, die ich beim ersten Besuch bereits ins Herz geschlossen hatte, ausprobieren zu dürfen.
Virtuality und der Rasenmähermann
Als Jugendlicher war ich sehr fasziniert von Berichten über damals aktuelle VR-Headsets wie dem Forte VFX1. Nintendos Virtual Boy ließ mich trotzdem die Nase rümpfen – lustig war allerdings das Unboxing im Stile der 1990er bei MRTV:
Das Unternehmen Virtuality brachte im Jahre 1990 eine frühe stationäre VR-Erfahrung namens Virtuality SU1000 auf den Markt, damals primär von Unternehmen wie IBM, Ford oder den British Telecom Research Laboratories gekauft. Das VR-Headset selbst nannte Virtuality “Visette”, es nutzt LCDs mit jeweils 372×250 Pixeln pro Auge. Nein, da fehlt keine Null. Für Ton sorgten vier Lautsprecher, ein Mikrofon für Multiplayer ist ebenfalls vorhanden.
Dann kam ein eher mittelprächtiger Film namens “Der Rasenmähermann” in die Kinos und schaffte es, den 1990er-Hype auf Virtual Reality anzustubsen. Wenn ihr dachtet, die Bildqualität der ersten Cardboard-VR-Lösungen oder die der Oculus Rift DK1 wäre krümelig gewesen – in den 1990ern galten 372×250 für VR als durchaus hochauflösend.

Das von mir gedanklich angesabberte aber mit 1.800 DM viel zu teure Forte VFX-1-Headset brachte es auf nur 263×230 Pixel pro Auge..
Der Rasenmähermann sorgte aber dafür, dass VR als modern galt – konnte sich ja eh keiner leisten um selbst enttäuscht zu sein. Virtuality adaptierte die 1000SU zur 1000CS für öffentliche Nutzung in VR-Arcades. Dummerweise war die Zeit der Arcades zu Beginn der 1990er schon langsam vorbei, die Nutzer setzten lieber auf Nintendo DS, Sega Mega Drive und ein einsamer xtnd-Chefredakteur aufgrund einer fragwürdigen Entscheidung seiner Eltern auf einem Atari 7800.
Die Hardware der Virtuality VR-Stationen
In den Arcade-Varianten Virtuality 1000CS und SD kam ein Amiga 3000 mit 4 Megabyte fast RAM zum Einsatz. Zur Verfügung stand dem Computer ein Grafikarray aus zwei Texas Instruments TMS34020 inklusive Fließkomma-Coprozessor – für jedes Auge eine Grafikkarte. Das Set konnte gut 40 MegaFLOPs oder 30.000 Polygone mit 20 FPS berechnen.
Nur einmal zum Vergleich: Die viel gescholtene Geforce RTX 5060 liefert alleine auf den Raytracingkernen 72 TeraFLOPS und der 1996 vorgestellte Voodoo1-Beschleuniger kam auf rund eine Million Polygone.
Erstaunlicherweise gab es bereits 6DOF-Tracking zumindest für Headset und Controller, dem “space joystick”.
1994 wurden dann die 2000SU und 2000SD-Modelle ausgeliefert und setzten auf geringeres Gewicht und vor allem mehr Auflösung – 800×600 Pixel pro Auge über zwei 1,6″ große LCDs.
Für die Rechenleistung kam nicht mehr der Commodore Amiga zum Einsatz sondern ein 486DX mit 33 Mhz. Auch dieser wird von einer Grafikkarte unterstützt, der ERxpality PIX 1000, basierend auf Motorola 88110 RISC-Prozessoren, 8 MByte DRAM und 4 MByte VRAM. Diese Spezialhardware war dann etwas schneller mit 200 Millionen Instruktionen pro Sekunde. Durch das Einsetzen mehrerer Grafikkarten konnte die Leistung zudem gesteigert werden.
Mit der 3000er-Serie rüstete Virtuality dann auf einen Intel Pentium Prozessor auf und legte einen an ein Gewehr erinnernden Controller bei. Übrigens war Virtuality auch das Unternehmen, dass das VR-Headset für Segas Jaguar-Konsole fertigen sollte. Das Headset wurde 1995 zwar produziert, kam aber nie auf den Markt – und auch die Jaguar-Konsole war kein Erfolg.
Wa sich hier aber so frei “486er-PC” nenne ist eigentlich eine Metallbox vollgestopft mit Erweiterungskarten und Kabeln. Neben den beiden Grafikkarten stecken da noch I/O-Karten für das Headset, Controller, Netzwerk, Festplatten und Audio. Nach dem Einschalten bootet ein schnödes MS-DOS 6.22, dann wird die Virtuality-Software gestartet.

Meine Erfahrung mit Virtuality SU2000 und Dactyl Nightmare
Ich durfte mir das aus heutiger Sicher recht klobige Headset aufsetzen und eines der bekanntesten Virtuality-Spiele zocken: Dactyl Nightmare. Dieser Polygon-Shooter bietet sogar Mehrspielerfunktionen inklusive Deathmatch und Capture the Flag.
Angesichts unzähliger moderner VR-Games, in denen ich körperlos herumlaufe, gibt es bei Dactyl Nightmare sogar einen Spieleravatar.. Und ein fieses prähistorisches Viech im Himmel, das es auf mich abgesehen hat.

Erstaunlicherweise kam mir die Grafik deutlich weniger schlimm vor, als befürchtet. Vor allem einen ausgeprägten Screendooreffekt wie bei der Rift DK1 vermisste ich.. irgendwie gar nicht.. Das Tracking hingegen war für einen Lighthouse-verwöhnten VR-Enthusiasten der 2020er natürlich eher fragwürdig aber dennoch auf einem für die Zeit erstaunlich gutem Niveau.
Angesichts der umständlichen Hardware, nur wenigen erschienenen Spielen und des hohen Preises, wundert mich ein nur sehr kurzer 90er-VR-Hype aber nicht. Im Heimbereich fehlte es massiv an Rechenleistung – als eine Forte VFX-1 herauskam, gab es noch nicht einmal 3D-Beschleunigerkarten, die 3dfx Voodoo 1 erschien erst 1996. Und in Arcades mangelte es an Besuchern, die die teure Investition wieder tragbar machen.
Mein Erlebnis im Computerspielemuseum vor einigen Jahren könnt ihr im hier eingefügten Video selbst sehen. Habt ihr eigene Erfahrungen mit Retro-VR oder gar der Virtuality-Plattform? Schreibt es in die Kommentare! Und wenn ihr Redebedarf habt: Wir freuen uns immer über Gäste bei der Realitätsflucht.


Ich wollte die als Kind/Jugendlicher seiner ZEit immer haben, wie sehnsüchtig ich die im Pearls Katalog damals angeschmachtet habe! MAN KONNTE DAMIT Star Wars Jedi Knight: Dark Forces II in VR spielen! Alter!
Klasse Teaser-Bild! Unter Zuhilfenahme welches Bildgenerators hast du das denn (wie) hinbekommen, wenn ich fragen darf? Auch ansonsten ein klasse Bericht! Danke!
Das war nur ChatGPT (free..) auf Basis eines bestehenden Bildes. Mag ich alles eigentlich nur bedingt aber da ich auch keinen Grafiker bezahlen kann, der sowas baut, verliert wohl wenigstens niemand etwas dadurch. Wäre es nicht eh schon so warm hier, hätte ich die Aufgabe meiner Grafikkarte überlassen aber das erzeugt sau viel Hitze 😀 – aber immerhin wäre der Strom 100% Sonne vom eigenen Panel gewesen.
Hab ich mir schon gedacht. Dennoch bemerkenswert zu was ‘die’ imstande sind! Bin Grafiker/Oldschool-Retuscheur, wenn man so will! Da hätte ich dann auch lang geschwitzt! . )