News

Virtuelle Realität für echte Einsätze: VRescue trainiert Notfallmedizin mit VR

VRescue

Wir haben die Entwickler hinter einer spannenden VR-Anwendung getroffen: Das Startup Immerzed arbeitet an einem Notfallmedizin-Simulator für VR, mit dem echte Praxisfälle realitätsnah geübt werden können.


Da einer der Gründer des Startups Immerzed vor dem Studium an der Fachhochschule Wedel im Rettungsdienst gearbeitet hat, entstand die Idee, dass sich einige der für die Notfallmedizin nötigen Schritte doch auch in Virtual Reality darstellen und üben ließen.

Niemand will in die Situation kommen, in einem mit Blaulicht fahrenden Krankenwagen notfallmedizinisch betreut werden zu müssen. Aber wenn, sind gut ausgebildete Fachleute vor Ort dann doch sehr beruhigend, oder? Ihre Ausbildung rettet im Zweifel euer Leben.

Hagen, 08.10.2024, Fernuniversität Hagen Veranstaltung Metaverse meets Health Forschungsschwerpunkt Arbeit | F o t o : V o l k e r W i c i o k

VRescue: Notfallmedizin professionell in VR üben

Entsprechend hohe Ansprüche muss die Ausbildung im medizinischen Bereich erfüllen, das gilt vor allem auch für die Notfallmedizin, wo es noch stärker auf den Faktor Zeit ankommt und die korrekte Diagnose und die darauf folgende Behandlung oft unter Druck gestellt und durchgeführt werden muss.

Situationen, die geübt werden müssen. Bisher geschieht das meist in aufwändigen Schulungen, für die viel Material, Lehrpersonal und entsprechende Räumlichkeiten benötigt werden. Um aber zwischendurch gewisse Handschritte zu üben und verfestigen, kann nicht immer das große Programm aufgefahren werden. Wie lange ist eigentlich eure letzte Erste-Hilfe-Schulung her?

BRK Bayern, Erste Hilfe Schulung – selbst vergleichsweise simple Erste-Hilfe-Schulungen erfordern einen größeren Aufwand als das Aufsetzen einer VR-Brille.

Immerzed will mit der VR-Anwendung VRescue genau dort ansetzen: Unkomplizierterer Zugang zu Übungseinheiten, auch gemeinsam im Team. Und das mit von den Übungsleitern optional selbst erstellten Übungen, zugeschnitten auf die eigenen Bedürfnisse.

Das ersetzt nicht die großen Übungseinheiten mit geschminkten Verletzten und großem Aufwand, aber es kann sie ergänzen. Regelmäßige VR-Trainingseinheiten sollen das Muskelgedächnis aktivieren und generell für mehr Routine sorgen.


Muskelgedächnis aufbauen: Fingertracking statt Controller

Dabei ist sowohl eine auch für mit moderner Technik unerfahrene Nutzer selbsterklärende Bedienung wichtig, als auch ein gewisses Maß an Gamification, um die Motivation hochzuhalten.

Noch setzen die Entwickler auf ein Business-zu-Business-Modell, sie denken aber bereits laut über eine einsteigerfreundlichere Gaminglösung für die App-Stores nach – ich würde mich freuen, spielerisch ein wenig Wissen aufzubauen.

Das eigentliche VRescue dürfte die meisten Endanwender ohne notfallmedizinische Ausbildung aber trotz intuitiver Steuerung mit den eigenen Händen erst einmal überfordern. Eben genau so, als wenn ich dich jetzt zusammen mit einem leidenden älteren Herren in einen Rettungswagen sperren würde und du jetzt bitteschön das Problem des Patienten diagnostizieren und beheben oder zumindest erstversorgen sollst.

Genau so ging es mir, als ich bei einem Treffen mit dem Team von Immerzed an der Fachhochschule Wedel selbst unter die Pico 4 Ultra schlüpfen durfte, um VRescue auszuprobieren.


VRescue nutzt die Unreal Engine

Im Gegensatz zu vielen Lehrprogrammen überraschte mich VRescue direkt mit ansehnlicher Grafik – als Engine kommt Unreal zum Einsatz. Und auch die Bedienung ist eingängig, schon wegen des Verzichts auf Controller. Handtracking ist mittlerweile gut genug geworden, um unerfahrenen Nutzern das Einlernen in die Buttons und Bewegungen ersparen zu können.

Keine Controller, das erschwert aber natürlich die Fortbewegung mangels passender Sticks. Daher sind die Übungssitzungen so aufgebaut, dass sie zwar ein wenig realen Raum erfordern, sich aber trotzdem an vielen Orten nutzen lassen. So ein Rettungswagen beispielsweise ist ja auch nicht gigantisch groß.

Dafür stehen da ganz schön viele für Laien erst einmal verwirrende Dinge drin und damit meine ich noch nicht einmal den Herren, der dort etwas unglücklich ausschauend herumliegt.


Ausbilder können eigene Szenarien anlegen

Um die Gerätschaften zu bedienen oder auch nur fachlich korrekt den Puls zu fühlen, ist ein wenig Vorwissen also schon hilfreich – auch wenn man zur Positionierung der Hand oder Geräte am Patienten eine grün eingefärbte Hilfefläche angezeigt bekommt. Aber das ist kein Kritikpunkt, die App richtet sich ja schließlich explizit an Menschen mit Vorkenntnissen.

Und die können in die Vollen gehen: VRescue simuliert die in Notfällen eingesetzten Objekte vom Fieberthermometer bis zum Überwachungsmonitor sehr genau, so dass sich die Handbewegungen wirklich einprägen können. Und das ohne dass ein Trainer dabei sein muss. Die Anwendung selbst ermittelt, wie gut die Behandlung war.

Bevor wir (abraxa ganz links, Dod macht das Foto) selbst reinschauen, demonstriert uns das Immerzed-Team die Anwendung an der Fachhochschule Wedel.

Abbilden können soll die App in Zukunft so ziemlich jede notfallmedizinische Maßnahme, so dass auch außergewöhnlichere Fälle ohne viel Aufwand geübt werden können. Aktuell gibt es eine Reihe ausgewählter Maßnahmen, die aber kontinuierlich erweitert werden sollen.

Nebenbei spart die VR-Übungseinheit Ressourcen, da keine Spritzen, Handschuhe oder ähnliches verbraucht werden. Das kann die Kosten durchaus senken und gleichzeitig die Ausbildungsqualität erhöhen.


Sorry, ich wollte sie nicht umbringen

In meinem ersten Einsatz fühlte ich mich, ich erwähnte es schon, ein wenig überfordert. Ganz so, als wäre ich jetzt tatsächlich mit diesem hilflosen älteren Herren alleine in einem Rettungswagen. Dieser aber ist immerhin realitätsnah und daher gut ausgestattet – der Wagen, nicht der Patient. Da der zu behandelnde Herr eher schweigsam ist, probiere ich erst einmal neugierig ein paar Gerätschaften aus.

Der Next Reality Award 2024 dürfte ein guter Ansporn für das Team gewesen sein, wir gratulieren nachträglich!

Fieber messen, das geht immer, oder? Das Thermometer bedient sich wie in echt und wenn ich mich damit dem Patienten nähere, zeigt mir ein Overlay sogar, wo und wie ich es ansetzen muss. Mist, Temperatur ist ok, wäre ja auch zu leicht gewesen.

Als nächstes weckt die Atemmaske meine Aufmerksamkeit. Kann ja auch nicht schaden? Nicht, dass er mir noch erstickt! Also Maske aufgenommen und dem Herrn auf den Mund gesetzt. Sieht gut aus.

Offenbar feiert das Personal des Rettungswagen draußen eine kleine Party, oder sind es nur die Immerzed-Entwickler, die versuchen mir Ratschläge zu geben? “Setz ihm doch mal das kleine Ding da auf den Finger, damit kannst du seine Werte messen!” – na gut, wird gemacht. Anschließend wurde ich sogar noch verbal zum dazugehörigen Monitor geleitet, der, einmal angeschaltet, ein paar für Fachleute sicher sehr spannende Werte ausgibt.

Das kleine Ding da am Finger des Patienten misst viele spannende Dinge, so dass ich eigentlich auch selbst hätte merken können, was ich falsch gemacht habe.

“Der CO2-Wert der ausgeatmeten Luft des Patienten steigt, siehst du?” – nein, oh, doch, jetzt sehe ich das. “Das liegt daran, dass du ihm die Maske aufgesetzt hast, sie aber nicht angeschlossen ist” dringt es in den virtuellen Rettungswagen. Ich wollte den Herrn vom Ersticken retten und hätte ihm damit fast mehr geschadet? Vielleicht ergibt so eine Ausbildung ja doch Sinn, bevor man seinen ersten Patienten meuchelt?


VRescue kann auch als Spiel funktionieren

Meine Frau stellte sich dabei übrigens deutlich geschickter an, die hat aber auch schon ein paar Einsteigerlehrgänge hinter sich und zeigte sich ebenfalls begeistert von den Möglichkeiten, die VRescue in der Ausbildung bieten kann.

Wir würden uns tatsächlich auch über eine für Casual-Nutzer gedachte Gaming-App freuen – spielerisch potentiell lebensrettende Handlungen üben, klingt nach Win-Win, oder? Aber bevor über ein Spiel nachgedacht werden kann, muss Immerzed erst einmal das professionelle VRescue auf den Markt bringen. Im kommenden Jahr soll es soweit sein.

Technisch kommt aktuell die Businessversion der Pico 4 Ultra zum Einsatz, eine Portierung auf die Meta Quest 3 ist ebenfalls in Arbeit. Die Unreal-Engine erledigt einen guten Job und hat den Entwicklern ihrer Aussage nach einiges an Kleinarbeit abgenommen.


Das größte Potential von VR kann in der Ausbildung liegen

Solltet ihr also in der Notfallmedizin arbeiten und mit VRescue arbeiten wollen – die Entwickler bei Immerzed freuen sich bestimmt über eine Kontaktaufnahme. Wir jedenfalls waren von den Möglichkeiten des Programms begeistert, die Umsetzung ist ebenfalls gelungen und der barrierefreie Einsatz mit Fingertracking sorgt überhaupt erst dafür, dass sich ein Muskelgedächnis aufbauen lässt.

Solche Anwendungen zeigen, dass VR viel mehr ist, als nur ein Spielzeug für Nerds. Unternehmen gewinnen damit eine Möglichkeit, das Wissen der Mitarbeitenden regelmäßig auszubauen oder abzufragen, ein Bewertungssystem in der App macht es möglich. Große Schulungsveranstaltungen, die viel Personal, Räumlichkeiten und Koordination erfordern, werden damit zwar nicht überflüssig, das angeeignete Wissen kann aber viel regelmäßiger gefestigt werden.

VR kann vielseitig genutzt werden, jetzt funktionieren auch Zoom-Meetings auf der Quest:

Am Ende spart VRescue gerade zu Beginn zwar wohl noch kein Geld ein – immerhin müssen oft erst die nötigen VR-Brillen angeschafft werden – allerdings sollte sich das mittel- und langfristig betrachtet durchaus ändern können. Das viel flexiblere Üben in realistischer Umgebung und sogar im Team hat aber das Potential, die Ausbildungsqualität zu steigern und damit Leben zu retten.

Ihr wollt Videomaterial? Auch das Hamburg Journal des NDR hat bereits über Immerzed und VRescue berichtet.

Previous Article

VR im Job: Zoom ist nun für Meta Quest erhältlich

Next Article

Genre im Check: VR RTS Real Time Strategy

Das könnte dich auch interessieren...

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert